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Heiner Timmermann:Europa und die Revolution

 

Wie immer eng oder weit man den Begriff der Revolution faßt, man kommt nicht umhin, die Begriffsgeschichte von der Antike bis ins moderne Revolutionsverständnis zu fassen. 1789 schließlich bezeichnet man als eine Ereigniskette, die an die Zukunft die Frage hinterließ, ob und auf welche Weise sich das National- und Verfassungsprinzip in der europäischen Staatenwelt durchsetzen werde. Die Außenseite der Revolution verbindet sich mit Masse, Straße, Gewalt und Blut, die Innenseite mit radikalen Veränderungen aller Lebensumstände und Wertvorstellungen1.

 

Die konservative Revolutionskritik bekämpft den gewaltsamen Bruch der Kontinuität als „Ur-Verbrechen“2. Dagegen erhob die Restaurationsideologie das Legitimitätsprinzip als die Wiederherstellung eines früheren politischen Zustandes, meist Wiedereinsetzung von infolge der Revolution beseitigten Dynastien zur Handlungslinie, wobei die Bewertungskriterien je nach politischem, ideologischem und zeitlichem Standort recht unterschiedlich waren/sein können.

 

Im Brennpunkt von 1848 traf sich auch der Systemkonflikt zwischen Ost und West für lange Jahre und damit auch das Thema: „Geschichte und Politik“:

 

Seit Leopold von Ranke sich in seiner Antrittsvorlesung „Über die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und Politik“3 mit diesem Thema beschäftigt hat, haben sich zahlreiche Historiker, Politikwissenschaftler, Publizisten, Soziologen und Literaten hiermit auseinandergesetzt. Nach den selbst gesetzten Maßstäben der Historiker haben „Weiße Flecke“ in der Geschichtsschreibung eigentlich keinen Platz. Aber bei einer zu engen Verkettung von Geschichte und Politik lief und läuft Geschichte immer Gefahr, Instrument zu werden. Das war sie bei den politischen Historikern des 19. Jahrhunderts. Sie war auch es bei dem Versuch des nationalsozialistischen Staates, die Geschichtswissenschaft sich ihm zu unterwerfen. Das galt für jene Teile Europas, die vom Kommunismus beherrscht wurden. „Das Ende des Systemkonflikts zwischen Ost und West ließ nach 1989 den Streit um das Erbe von 1848 noch weiter in den Hintergrund treten. Ahnlich wie dies Francois Furet bereits vor langer Zeit für die Große Französische Revolution getan hat, kann man daher heute mit einigem Recht die Revolution von 1848/49 für beendet erklären Die ideologischen Schlachten der Vergangenheit müssen nicht mehr stets von neuem geschlagen werden“4.

 

II.

 

Wann und wo begann 1848? 1830 in Frankreich, mit der Wirtschaftskrise in Europa in den 40iger Jahren, in der Schweiz 1847, in Palermo im Januar 1848, in Paris im Februar 1848, in den deutschen Mittelstaaten, in Berlin, Wien im März 1848 — oder gar in England 1660/88, in Amerika 1776 oder in Frankreich 1789?

 

Waren die Ereignisse in der Schweiz das aktuelle Vorspiel? Die Schweiz war nach dem Zwischenspiel der zentralistischen Helvetischen Republik (1798-1815) gemäß den Bestimmungen des Wiener Kongresses wieder als locker gefügter Staatenbund errichtet worden. (Art. 74-84, 92 der Wiener Kongreßakte), Die Integrität der 19 + 3 Kantone wurde anerkannt, und ein locker gefügter Staatenbund wurde errichtet. Das Schwergewicht des politischen Lebens lag in den einzelnen souveränen Kantonen. Dennoch dominierte die Schicht, die schon vor 1798 die Macht gehabt hatte. Vielerorts hatten sich die aus dem Mittelalter ererbten Vorrechte des Adels und des städtischen Patriziats erhalten. Ja, diese Rechte wurden im Zeitalter der Restauration wieder gestärkt. Zwischen 1815 und 1830 konnten die Kantonsregierungen in der Ruhe der Restauration ein patriarchalisches Regiment entfalten. Dagegen erhob sich eine liberale Bewegung mit demokratischen und nationalen Zügen. Die konfessionellen Gegensätze verbanden sich mit den politischen. Zwischen Osterreich, Frankreich und dem sich im Deutschen Zollverein einigenden Deutschland war die Schweiz mit ihrem kantonalen Münzwesen, Maßen, Gewichten und Binnenzöllen verkehrs- und wirtschaftspolitisch nicht mehr konkurrenzfähig. Die katholischen Kantone waren konservativ gesonnen und traten für die Souveränität der einzelnen Kantone ein. Die liberale Bewegung, welche den Bundesstaat an Stelle des Staatenbundes erstrebte, hatte in den reformierten Kantonen ihren Rückhalt. Es bildeten sich zwei Kantonsgruppen: Konservative, agrarische und ausschließlich katholisch-klerikale Kantone einerseits, die 1845 den Sonderbund gründeten; andererseits die weit überlegene Gruppe der liberalen bzw. freisinnig-katholischen Kantone. Die Spannung entlud sich im Sonderbundskrieg 1847, in dem der Sonderbund der katholischen Kantone rasch besiegt wurde. Die Liberalen und Konservativen Europas verfolgten mit leidenschaftlicher Teilnahme den Krieg. Zeitweise drohte sogar der Eingriff der drei östlichen Großmächte unter Führung Metternichs zugunsten des Sonderbundes, während England die Schweizer Liberalen unterstützte. Der Sieg der Majorität im Sonderbundskrieg, November 1847, ermöglichte die Annahme einer neuen Bundesverfassung, und die Schweiz wurde nach amerikanischen Vorbild ein Bundesstaat5.

 

III.

 

Die Bedeutung des Jahres 1848 liegt in dem Komplex von liberal- national-sozialen Revolutionen und Aufständen, die in Italien, Frankreich, Deutschland, Osterreich und Ungarn ausbrachen. Diese Aufstände und Revolutionen gewannen gewiß einen starken Antrieb aus der Pariser Februar-Revolution, in der die Monarchie der Orlans gestürzt und die Republik proklamiert wurde. Tatsächlich hatte sich Palermo bereits am 12. Januar 1848 erhoben und ein Parlament und Autonomie für Sizilien gefordert. Am 29. Januar 1848 mußte der König von Neapel eine Verfassung bewilligen, die nach dem Muster der französischen von 1830 geschaffen und am 1. Februar 1848 angenommen wurde. Diese eröffnete dann den Reigen all der anderen liberalen Verfassungen des Jahres 1848. Diese Revolutionen und Verfassungen waren die Fortsetzung der in der Aufklärung entwickelten Ideen mit ihren großen Zäsuren 1776/1783 auf dem amerikanischen Kontinent und 1789 in Frankreich, der intensiv einsetzenden Verfassungsbewegung in vielen Teilen Europas nach 1815 und die Ausdehnung der Revolution von 1830, insbesondere auf zwei Länder: Deutschland und Italien6.

 

In Frankreich wuchsen in den 40iger Jahren die durch Korruptionsskandale bestärkten Zweifel der Oberschicht an der Kompetenz des Regimes. Zwischen 1845-47 trat eine Phase von Mißernten und wirtschaftlicher Depression ein, die auch durch den Abschluß der Eroberung Algeriens nicht aufgefangen werden konnte, was die allgemeine Unruhe steigerte. Das Julikönigtum hatte im Sinne des wohlhabenden Bürgertums, mit dem sich das Beamtentum verband, regiert. Da das Wahlrecht an einen hohen Steuersatz geknüpft war, war die Mehrheit des Bürgertums und die Arbeiterschaft ohne Wahlrecht. Nur etwa 240.000 Bürger durften wählen. Die Lage der Arbeiterschaft war ähnlich beklagenswert wie in England vor der Fabrikgesetzgebung. Forderungen nach Erweiterung des Wahlrechts wurden immer lauter. Als Francois Guizot, Ministerpräsident, diesbezügliche, von den Republikanern organisierte öffentliche Bankette — „Reformbankette“ — verbot, brach im Februar 1848 in Paris ein Aufstand aus, in deren Verlauf Studenten- und Arbeiterdemonstrationen, gipfelnd in dem Sturm auf das Royal Palais, die Abdankung und Flucht des Königs, die Proklamation der Zweiten Republik sowie die Einsetzung einer von Alphonse de Larnartine geführten provisorischen Regierung erzwangen. Wieder wurde eine Nationalversammlung gewählt, um dem Staat eine Verfassung zu geben, diesmal auf Grund des allgemeinen, geheimen und direkten Wahlrechts.

 

Aber die Zweite Republik entwickelte sich zu einer Republik ohne Republikaner. Die Nation war heillos in Parteien zerrissen, die verfassungspolitisch entgegengesetzte Ziele verfolgten. In den Reihen der Republikaner klaffte bald der Abgrund zwischen Bürgertum und sozial- revolutionärer Arbeiterschaft. In Paris kam es im Juni 1848 zu einem Arbeiteraufstand, der im Auftrage der Nationalversammlung blutig niedergeschlagen wurde. Im Bürgertum gewann aus Furcht vor der Arbeiterschaft der monarchische Gedanke schnell an Boden. In der Auseinandersetzung um die Eindämmung sozialistischer Forderungen setzte sich bald die Herrschaftstechnik des Bonapartismus durch, die durch Louis Napoleon Bonaparte das Sicherheitsbedürfnis des Besitzbürgertums, die Deklassierungsängste der Bauern und die wachsende Not der städtischen Unterschichten gleichermaßen für die Etablierung einer autoritären Staatsform zu nutzen wußte. Die Verfassung vom 4. November 1848 hatte die Arbeiterrechte wieder eingeschränkt und an die Spitze der Exekutive einen bei vierjähriger Amtszeit nur einmal wählbaren und direkt vom Volk gewählten Präsidenten gestellt. Am 20. Dezember 1848 wurde der von den Orléanisten und der Kirche unterstützte Abgeordnete der Nationalversammlung, Louis Napoleon Bonaparte, auf vier Jahre mit über 70 % der Stimmen gewählt (5,5 Mio von 7,5 Mio). Mit ihm gelangte der Typ des politischen Abenteurers an die Macht. Als Mittel zur Macht gebrauchte er Terror und Propaganda. Er gab sich als Republikaner, versprach jeder Partei etwas. Unter geschickter Ausnutzung des napoleonischen Mythos steigerte er seine Popularität. Als die Nationalversammlung durch ein neues Gesetz die Arbeiter von den Wahlen auszuschließen versuchte, gingen sie in Scharen zu Napoleon über, zumal er soziale Reformen verhieß. Am 2. Dezember 1851 wagte er den Staatsstreich. Die Nationalversammlung wurde aufgelöst, ihre angesehensten Mitglieder verhaftet und das allgemeine Wahlrecht wiederhergestellt. Napoleon appellierte an das Volk, das ihm in einer Volksabstimmung mit 7,5 Millionen gegen rund 600.000 Stimmen ermächtigte, eine Verfassung herzustellen. Die neue Verfassung schuf einen Scheinkonstitutionalismus wie ihn schon Napoleon 1. geschaffen hatte. Ein Jahr später übertrug das französische Volk Napoleon in einer erneuten Volksabstimmung die erbliche Kaiserwürde. Nur noch etwa 250.000 Neinsager gab es jetzt. Am 2. Dezember 1852 wurde er als Napoleon III. zum „Kaiser der Franzosen durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation“ proklamiert. Gestützt auf die Armee und die Kirche, die mit der konservativen Schulgesetzgebung von 1850 ihre traditionelle Ordnungsmachtfunktion wiedererlangt hatte, errichtete Napoleon III. ein scheindemokratisches Regime. In dessen Rahmen wurden die gesetzlichen Körperschaften zwar noch immer durch allgemeine Wahlen bestimmt, sie waren jedoch von jeder wirksamen Regierungskontrolle ausgeschaltet, so dass der Kaiser eine nahezu autokratische Machtfülle in Anspruch nehmen konnte. Diese nutzte er zur polizeilichen Unterdrückung der Opposition, zur Reglementierung der Presse und zur Durchsetzung umfangreicher, der Arbeitsbeschaffung dienender Bauprogramme7.

 

IV.

 

Die französische Revolution vom Februar 1848 griff sofort auf die deutschen Staaten über. Die revolutionäre Bewegung erfaßte zunächst die Klein- und Mittelstaaten8 Sie war, anders als in Frankreich, vor allem eine bürgerliche Revolution, in der sich die Forderungen nach liberalen Reformen mit der Frage nach der nationalen Einheit verbanden, wodurch in den Randgebieten wie in Schleswig und in den nichtdeutsch besiedelten Gebieten Osterreichs, Nationalitätenprobleme aufbrachen9. Das Ziel, das man anstrebte, war in den deutschen Staaten bekannt. Darum liefen die Ereignisse ziemlich ähnlich ab. Überall rotteten sich Massen zusammen, schlugen die „Forderungen des deutschen Volkes“ an Mauern und Zäune, richteten Petitionen an die Regierungen und bauten auch hier und da Barrikaden. Vom deutschen Südwesten ausgehend, wurden in den Klein- und Mittelstaaten die liberalen Forderungen fast widerstandsios erfüllt oder ihre Verwirklichung versprochen: Konstitutionelle Verfassungen, Ersetzung der Vormärz-Regierungen durch Reformministerien, Pressefreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung und schließlich die Wahl eines gesamtdeutschen Parlamentes. Als auf dem Lande Bauernunruhen ausbrachen, hoben die Regierungen die letzten Reste der Feudallasten auf. Der Bundestag erklärte die bisher verfemten Farben Schwarz-Rot-Gold zu Bundesfarben und beschloß, über eine neue Bundesverfassung zu beraten. Aber die politischen Führer hatten bereits von sich aus das Heft des Handelns und eine Bundesreform in die Hand genommen. Am 5. März 1848 kamen 51 von ihnen in Heidelberg zusammen, meist Abgeordnete der süddeutschen Landtage. Sie luden alle Mitglieder der deutschen gesetzgebenden Körperschaften und andere angesehene Männer zu einem „Vorparlament“ nach Frankfurt/Main, wo sie die Wahl zu einem verfassungsgebenden deutschen Parlament vorbereiten sollten. Da brach in Wien und Berlin die Revolution aus.

 

In Österreich10 waren die inneren Zustände seit langem reif für eine Revolution. Die Habsburger Monarchie drohte auseinanderzubrechen. Die Tschechen und die von Kossuth geführten Ungarn strebten nach Autonomie, zunächst noch im Rahmen des Gesamtstaates, die Italiener verlangten Befreiung vom Habsburger Joch. In Wien erhoben sich die Deutsch-Österreicher und forderten den Anschluß an das neu zu begründende Deutsche Reich. In Wien wurde der erste Sieg der Revolution am 13. März 1848 erfochten. Als es zu blutigen Zusammenstößen kam, wurde der Mann entlassen, der ein Menschenalter hindurch die Geschicke des Landes und darüberhinaus geleitet hatte.

 

Die Revolution in Wien verlief in mehreren Phasen. Die 1., ganz das Werk der Bürger und Studenten, endete schon am 15. März. Sie bestand in der Entlassung Metternichs, Aufhebung der Zensur, Errichtung einer Nationalgarde und dem Versprechen einer Verfassung. Schwarz-Rot-Gold wurden als Farben anerkarrnt, Wahlen zu einem deutschen Parlament zugestanden. Gleichzeitig erhielt Ungarn eine selbständige Regierung. Die 2. Phase dauerte vom 25. April — 16 Mai. Am 25. April wurde die versprochene Verfassung veröffentlicht. Sie wurde ablehnend beurteilt, ein revolutionäres Zentralkomitee bildete sich, das die Regierung anerkennen mußte. Die Regierung mußte auch die vorgelegte Verfassung zurückziehen und eine verfassungsgebende Reichsversammlung versprechen. In der 2. Phase traten die Arbeiter verstärkt hervor. Am 17. Mai floh der Kaiser nach Innsbruck. Dadurch wurde die Revolution gespalten, da die Wiener kaisertreu waren. Es begann die 3. Phase: der Hof in Innsbruck, die Regierung (anfangs noch Pillersdorf, dann Doblhoff) in Wien. Am 22. Juli trat der aus indirekten Wahlen hervorgegangene Reichstag zusammen, am 12. August kehrte der Hof zurück. Die 4. Phase dauerte bis zur zweiten Flucht des Kaisers am 6. Oktober, die 5. und letzte bis zur Einnahme Wiens. Der Reichstag beschloß die volle Befreiung der Bauern. Die Monate August und September waren voller Spannung mit zeitweiligen Arbeiterunruhen Die Verbindung der Wiener Revolutionäre mit ungarischen Abgesandten führte am 6. Oktober zur Meuterei der gegen Ungarn bestimmten Truppen und Ermordung des Kriegsministers Latour. Da beschloß die Regierung die gewaltsame Unterdrückung der Revolution. Das alte System war wie ein Kartenhaus zusammengebrochen und niemand konnte ahnen, wie schnell die absolutistischen Gewalten wieder erstarken sollten Auch Preußen11 befand sich bei Ausbruch der Februar-Revolution in einer Krise. Zwar hatte Friedrich Wilhelm IV. 1847 den „Vereinigten Landtag“ berufen, weil er Geld für den Bau der Ostbahn brauchte, doch das war für ihn ein einmaliger „Gnadenakt“ Erst als es Anfang März zu Unruhen kam, bewilligte er die lange verweigerte Periodizität Damit war die öffentliche Meinung jetzt nicht mehr zufrieden. Sie forderte jetzt eine konstitutionelle Verfassung mit gewählter Vertretung des ganzen preußischen Volkes. Am 18. März hob Friedrich Wilhelm IV. die Pressezensur auf und verhieß die baldige Einführung einer Verfassung. Aus einem Zwischenfall bei einer Dankeskundgebung vor dem Schloß entstanden blutige Straßenkämpfe mit den Truppen, die auf Befehl des Königs schließlich abzogen. Am 22. März 1848 wurde das liberale Kabinett Camphausen berufen. Noch im Mai konstituierte sich eine verfassungsgebende Versammlung. Doch bereits im Frühsommer vereinigte das „Junkerparlament“ die schärfsten Gegner der revolutionären Bewegung und vermochte sich schließlich mit Hilfe der Armee durchzusetzen.

 

Die Ereignisse in den beiden größten deutschen Staaten hatten ihre Auswirkungen auf die Frankfurter Nationalversammlung die in ihrem Verfassungswerk scheiterte, da Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die ihm angetragene Kaiserwjjr nicht annahm. Die Ablehnung der Verfassung durch die beiden deutschen Großmächte und die größten Mittelmächte trug ebenso zum Niedergang der Nationalversammlung wie das Erstarken antirevolutionärer Kräfte bei.

 

V.

 

Dass an dem von Parteiverschwörungen durchwühlten und von Bürger- kriegen zerrütteten Königreich Spanien12 die Februar-Revolution nicht spurlos vorübergehen würde, war vorauszusehen. Am 1. März teilte Ministerpräsident Narväsz der Cortes den Sturz von Louis Philippe und die Errichtung der Republik mit und verband damit die Forderung, ihm durch zeitweilige Aufhebung der Artikel 7 und 8 der Verfassung eine Art Diktatur zu übertragen. Außerdem sollte die Summe von 200 Millionen Realen beschafft und nach Ermessen der Regierung zur Aufrechterhaltung der Ruhe verwendet werden. Die Kammer der Deputierten und der Senat bewilligten die Mittel und wurden daraufhin von Narväez vertagt. Die Oppositionspartei der Progressisten beschloß über diese Maßnahmen, nachdem durch Petitionen und Zeitungsartikel nichts erreicht wurde, zu den Waffen zu greifen. Am 26. März 1848 kam es in Madrid zu Scharmützeln mit der Polizei. Die Aufständischen wurden noch in der derselben Nacht besiegt und entwaffnet, teils vors Kriegsgericht gebracht, teils in Gefängnisse gebracht, teils verbannt. Zu Todesurteilen kam es nicht. Die Niederwerfung des Aufstandes war so rasch gelungen, dass die Provinzen keine Zeit hatten, sich demselben anzuschließen.

In dem durch Bürgerkriege verheerten Königreich Portugal war das einzige wesentliche Ereignis dieser Zeit ein am 29. März 1848 vollzogener Kabinettswechsel.

In Konstantinopel13 trafen am 14. März 1848 Depeschen des türkischen Botschafters in Paris und französische Zeitungen ein, welche die Nachricht von den Februar-Vorgängen brachten. Die Wirkung, die die Nachricht von den Ereignissen in Paris in der Türkei hervorbrachte, war eine andere, als man hätte erwarten können. Großwesir Reschid-Pascha, der an der Spitze einer Reformbewegung stand, verlangte am 27. April vom Sultan Abdul-Meschid die Entlassung des Anführers der alttürkischen Anhänger, Großadmiral Said Pascha. Doch der Sultan hörte mehr auf die Schilderung Said Paschas, nach denen die revolutionären und fürstenfeindlichen Gesinnungen des Abendlandes einen Abscheu vor dem weiteren Eindringen in die Türkei hervorrufen müßte, und entließ Reschid-Pascha. Ende Juni gewann dieser allerdings wieder das Vertrauen des Sultans und trat als Minister ohne Geschäftsbereich wieder in das Kabinett ein. Sein Widersacher Said Pascha wurde bereits am 12. Mai gestürzt.

 

In Griechenland14 verbreitete sich Mitte März die Nachricht von der Februar-Revolution, rief aber, obwohl das Lande nicht minder wie Spanien von Bürgerkriegen zerrüttet war, keinen größeren Aufstand hervor. Das bisherige Kabinett trat am 20. März zurück. Eine allgemeine Amnestie, welche bald darauf für die aufständischen Generale Grivas und Grisiotis erlassen wurde, hatte den einzigen Erfolg, dass der bereits bestehende Bandenkrieg neuen Aufschwung erhielt. Nach Mühen gelang es der Regierung, die zahlreichen bewaffneten Banden teils zu zersprengen, teils an die Grenzen zu drängen.

 

Auch in Rußland15 rief die Revolution einen Widerhall hervor. Die Ereignisse im Westen mögen bei einzelnen Sympathien hervorgerufen haben. Wie aber Zar Nikolaus selbst die Lage einschätzte, zeigte ein am 14./26. März 1848 erlassener Ukas, in welchem die Ausbreitung der Revolution mitgeteilt und verdammt und der feste Wille des Zaren ausgesprochen wurde, die Bewegung von den Grenzen Rußlands fernzuhalten.
 

Am 25. Februar 1848 war die Kunde von der Februar-Revolution über den Kanal nach England16 gekommen. Der Regierung schien das Ereignis nicht ungelegen zu kommen, war sie doch in den vergangenen Jahren oft genug mit der französischen Politik in Konflikt geraten. Am 28. Februar 1848 erklärte Lord Russeil im Unterhaus, England werde sich in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten Frankreichs einmischen. Bereis am 2. März anerkannte England die französische Republik. Louis Philippe erhielt Asyl im Lande. Der gewaltige Sturm, der den Kontinent erschüttern konnte, vermochte in England nichts auszurichten. In England selbst waren es die Chartisten, in Irland die Nationalpartei, die gemäßigten Anhänger des „alten“ und die Radikalen des „jungen“ Irlands, weIche die Zeit zur Erreichung ihrer Wünsche für gekommen hielten. Dennoch führten die Verhältnisse in England nicht zu einer Revolution. „Vielmehr sorgten dort bemerkenswerterweise eine Reihe von begrenzten Konzessionen, besonders das Reformgesetz von 1832 und die Rücknahme der Korngesetze von 1846, zusammen mit der von den Chartisten verbreiteten Angst vor Aufruhr und Revolution dafür, dass radikale Politik beim Bürgertum immer weniger Anklang fand“17.

 

In der belgischen Hauptstadt Brüssel18 hatten sich am Abend des 25. Februar große Menschenmassen versammelt, um auf die neuesten Nachrichten aus Paris zu warten. König Leopold und sein Ministerium Rogier verstanden es, durch Mäßigung und Klugheit die Gefahren zu bannen, die insbesondere durch eine Mißernte und den Parteihader zwischen Liberalen und Klerikalen erwuchsen. Am 26. Februar erklärte Leopold seinem Ministerrat, er sei bereit, auf die Krone zu verzichten, falls seine Person ein Hindernis für das Glück und die Ruhe des Landes sei. Der Ministerrat erklärte einstimmig, dass der Wunsch nach einer Republik nicht bestehe. Ein Grund für eine durchgreifende Anderung der Verfassung sei auch nicht gegeben. Wenig später wurde der Wahizensus herabgesetzt, der Zeitungsstempel aufgehoben und die Nichtwählbarkeit von Beamten zu Parlamentsmitgliedern beschlossen.

Das Revolutionsjahr 1848 brachte politisches Neuland in die Niederlande19. Der König wandelte sich unter dem Eindruck der aus Deutschland kommenden Nachrichten vom Konservativen zum Liberalen. Es kam zur Durchführung der klassischen Grundsätze der konstitutionell beschränkten Monarchie. Das stark Persönliche, das bis dahin das königliche Regiment trug, wurde zurückgedrängt, und die Kompetenz der Generalstaaten erweitert. Auch fanden die bürgerlichen Freiheiten ihre Garantie in der Verfassung.

 

die Ereignisse und Folgen in Polen, Slowakei, Dänemark, Schweden, Ungarn, Rumänien werden in nachstehenden Beiträgen speziell behandelt20.

 

VI.

 

Noch nie hatte ein Ereignis so viele europäische Staaten und Nationen so gleichmäßig und überraschend schnell erschüttert als jener Frühlingssturm, der von den Pariser Barrikaden aus fast den ganzen Kontinent durchzog, vielerorts die Schranken der alten Ordnung niederwerfend. „Dieses Jahr 1848 hinterließ bei den Überlebenden den Eindruck der Trunkenheit, des Traumhaften, des jugendlichen Wahnsinns und zugleich der allmählichen Ernüchterung, der Rückkehr zur Wirklichkeit und allgemeinen Desillusion. . . . Aber wie groß auch all die Unzulänglichkeiten, Schwächen, Irrtümer gewesen sein mochten, — die Menschheit durchlebte damals dennoch einen jener seltenen Momente, in denen alle von freudigem Vertrauen auf sich selbst getragen und mit Hoffnung für die eigene Zukunft erfüllt sind, . . . Und die Feinde selbst, die verhaßten Monarchen, die verachteten Despoten und verabscheuten Tyrannen, schienen nicht mehr die gleichen zu sein, sei es, dass sie selbst wirklich mitgerissen waren, oder sei es, dass sie sich aus Berechnung und aus einem Instinkte der Verteidigung heraus so gaben, oder dass sie selbst nicht wussten, welchem dieser beiden Motive sie gehorchten“21. Von einem Scheitern der Revolution von 1848 kann aus historischer Perspektive nicht gesprochen werden. Zwar haben die Ereignisse nicht immer zu den gewünschten Zielen der einen oder anderen Seite geführt, für die Entwicklung der politischen Ideen, des Konstitutionalismus in Europa war 1848 Markstein und Übergang zugleich.

 

作者Heiner Timmermann,德国耶拿大学教授,欧洲文化高等研究院兼职研究员。

 

 

Literatur

 

Bergeron, Luois/Pbregt Francois/Koselleck Reinhard (Hg.): Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780—1848. Frankfurt/Main (1969) 1987.

 

Dowe, Dieter/Haupt, Heinz-Gerhard/Laflgewjesche Dieter (Hg.): Europa 1848.

Revolution und Reform. Bonn 1998.

 

Hein, Dieter: Die Revolution von 1848/49. München 1998.

 

Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815—1849 München 1985.

 

Mommsen, Wolfgang J.: 1848 — Die ungewollte Revolution. Frankfurt 1998. Price, Roger: Kleine Geschichte der europäischen Revolution. Berlin 1992.

Schieder, Theodor (Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5: Europa von der Französischen Revolution zu den nationalstaatlichen Bewegungen des 19. Jahrhunderts. Stuttgard 1981.

 

 

1 Hans-Georg Wehling und Angelika Hauser-Hauswirth: Die großen Revolutionen im  

  deutschen Südwesten. Stuttgart 1998, 5. 9.

2 Waldemar Besson(Hg.): Geschichte. Das Fischer Lexikon. Frankfurt 1961, 5. 310.

3 Leopoldus Ranke: De historiae et polices cognatione atque discrimine. Pro loco in

  Facultate philosophica Universitatis litterarum Friedericae Guillemae. rite obtiendo

  sripsit. Berolina 1836, 19 Seiten.

4 Dieter Hein: Die Revolution von 1848/49. München 1998, 5. 8.

5 Theodor Schieder (Hg.): Handbuch der Europäischen Geschichte. Band 5. Stuttgart

  1981, 5. 968 if.; Ulrich Im Hof: Geschichte der Schweiz, Stuttgard u.a., 6. Aufl.,  

  1997, 5. 92ff.

6 Benedetto Croce: Geschichte Europas im 19. Jahrhundert. (1935). Ausgabe InselVerlag. Frankfurt/Main-Leipzig 1993, 5. 147 if.

7 Heinz-Otto Sieburg: Geschichte Frankreichs. 5. Auflage. Stuttgart u.a. 1995, 5. 300 

  if.; Roger Pryce: 1848 Kleine Geschichte der europäischen Revolution, Berlin 1992,

  S. 43 ff.; Wolfgang J. Mommsen: 1848 Die ungewollte Revolution. Frankfurt 1998,

  S. 104 ff.; Schjeder (Anm. 5): S. 269 if.

8 Dieter Hein: Die Revolution von 1848/49, München 1998. passim; Wolfram Sie- 

  mann: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt/Main 1985. passim.

9 Siehe in diesem Band die entsprechenden Beiträge

10 Dieter Langewiesche: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815-1849.

  München 1985, S. 79 ff.; 98 ff. (Anm. 5), S. 493 ff.

11 Mommsen (Anm. 7), S. 127 ff., Schieder (Anm. 5),  S. 482; Hein (Anm. 8), passim.

12 Scheider (Anm. 5), S. 912 ff.

13 Schieder (Anm. 5), S. 987 ff.

14 Langewischen (Anm. 10), S.71.

15 Schieder (Anm. 5), S. 616 ff.

16 Schieder (Anm. 5), S. 319 ff; Pryce (Anm. 7), S. 40 if, 50 if.

17 Pryce (Anm. 7), S. 40.

18 Schieder (Anm. 5), S. 951 ff.

19 Schieder (Anm. 5), S. 958 ff.

20 Siehe die entsprechenden Beiträge in diesem Band.

21 Croce (Anm. 6), S. 148 f.

 

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